Am 20. August erscheint die neue Single von il Civetto. Bereits jetzt lässt sich sagen: Mit „Rio-Reiser-Platz“ hat die Berliner Band sich im Zeichen des Pop behutsam neu erfunden. Der mitreißende Song ist zu gleichen Teilen Soon-to-be-Sommerhit und substanzieller Beitrag zur Gentrifizierungsdebatte.
Die Geburtsstunde des modernen Easy-Jetset-Berlins als internationale Kulturmetropole könnte man vielleicht in die frühen Zehnerjahre des neuen Jahrtausends verlegen. Den speziellen Spirit, der den Reiz der Stadt spätestens seit damals auch international ausmachte, dieses diffuse Berlin-Gefühl, dass man nämlich nie so genau weiß, was als nächstes passiert, weil hier eben noch nicht alles bis in die letzten Winkel vermessen, durchgeplant und reguliert wurde, verkörperte damals kaum jemand so sehr wie die – tatsächlich einmal aus gebürtigen Berlinern bestehende! – Band il Civetto.
Mit etwas Glück konnte man in diesen Jahren mitreißende Guerilla-Gigs der damals noch unbekannten Band auf Plätzen, in Zügen oder auf U-Bahnhöfen erleben, die nicht selten in orgiastischen Street Raves mündeten. il Civetto war genau die Band, die Berlin brauchte. Mit ihrem rhythmusbetonten, genreoffenen Mix aus Pop, Folklore, Balkan Beats, Dancehall und Club-Musik brachten sie den Vibe der Stadt auf den Punkt.
Einige Jahre, zwei Alben und mehr als 400 Konzerte – überall auf der Welt vom Fusion Festival bis Montreux Jazz Festival später – erscheint nun bald das neue und dritte Album von il Civetto, von dem sich bereits jetzt sagen lässt, dass es das bislang ausgereifteste und beste der Band ist. Und auch ihr Gespür für die Themen der Stunde haben sie nicht verloren. Das zeigt sich nicht zuletzt anhand der ersten Single „Rio-Reiser-Platz“, die il Civetto mit dem Produzenten Tim Tautorat (AnnenMayKantereit, Faber, Provinz u.a.) und den Bläsern (Jérôme Bugnon) der Gruppe SEEED in den legendären Berliner Hansa Studios aufgenommen haben und die am 20. August erscheint.
il Civetto sind hier direkt auf Diskurshöhe: „Wir bleiben heute im Bett und halten uns an unserer Liebe fest, stellen den Wecker auf 1. Mai / Für immer und dich, für immer diese Nacht, in deinem Zimmer hier am Rio-Reiser-Platz“, singt Leon Keiditsch – und bringt in diesen wenigen Worten nicht nur drei Anspielungen auf Rio Reiser unter, zu dessen 25. Todestag die Single erscheint. il Civetto vermitteln hier vielmehr spielerisch die Grenzmarkierungen aktueller Gentrifizierungsdiskurse zwischen linker Tradition und turbokapitalistischer Gegenwart.
Nicht nur mit diesem Song wagen il Civetto mehr Pop ohne ihre musikalischen Kerntugenden außer Acht zu lassen. Der Spagat gelingt traumwandlerisch: Nach einer Funk-infizierten, klar akzentuierten Strophe und einem Wahnsinns-Refrain, den man einmal hört und nie wieder vergisst, heben il Civetto mit der bläsergrundierten Bridge in die Unendlichkeit ab. Man denkt kurz an Peter Fox oder Manu Chao, aber eigentlich gibt es für den neuen Fusion-Pop von il Civetto keine Referenzgröße. Den mussten sie schon selbst machen.
il Civetto verkörpern das urbane, das internationale, das bunte und weltoffene Berlin. Nun haben sie die bislang beste Musik ihrer Karriere gemacht.